So erlebt ein Basler Fotograf den Krieg im Libanon
Der Fotojournalist Matteo Placucci lebt im St. Johann. Er berichtet direkt aus Krisenregionen und ist gerade erst aus dem Libanon zurückgekehrt. Dort hat er besonders die Menschen im Fokus, die unter dem Krieg im Nahen Osten leiden.
Matteo Placucci, Sie waren kürzlich als Fotograf im Libanon. Sind Sie spontan dorthin aufgebrochen?
Ja, ich habe die Reise innerhalb eines Tages geplant. Eigentlich wollte ich nach Israel reisen, aber mein Flug wurde kurzfristig gestrichen. Da es zu dem Zeitpunkt nicht möglich war, nach Tel Aviv zu reisen, habe ich spontan Libanon als Ziel gewählt.
Warum?
Ich sehe es in diesem Konflikt als meine Aufgabe an, vor Ort zu sein und zu berichten. Im Sommer war ich bereits in Israel. Nach Gaza ist es leider unmöglich zu reisen. Ausserdem habe ich von einigen Kolleg*innen gewusst, dass sie auch kurzfristig in den Libanon gereist sind. Es war gut zu wissen, dort Kontakte zu haben.
Matteo Placucci ist Musiker und Fotojournalist. Er wuchs in Italien auf und begann eine Musikerkarriere als Schlagzeuger. Anschliessend zog es ihn nach Südafrika, wo er sich der Fotografie widmete und ein Projekt über Migration realisierte. Vor fünf Jahren zog er zusammen mit seiner Frau nach Basel. Placucci reist regelmässig in Kriegsgebiete oder Länder, die von Kriegen gezeichnet sind.
War es kompliziert, während des Krieges in den Libanon zu fliegen?
Erstaunlicherweise gar nicht. Der Flugverkehr in den Libanon funktioniert völlig normal. Alle 30 bis 40 Minuten startet oder landet ein Flugzeug in Beirut, auch während das Land unter Beschuss ist.
Wie ist das Leben dort vor Ort?
Libanon ist ein ganz normales Land mit geringem Lebensstandard im Nahen Osten. Die Menschen versuchen, ihren Alltag trotz des Krieges irgendwie normal weiterzuleben. Aber die Gefahr ist gross, denn es gibt keine Bunker, in denen sie sich bei einem Angriff verstecken können. Viele Menschen leben dauerhaft auf der Strasse.
Sie sprechen von den Geflüchteten?
Ja. Im Zentrum von Beirut leben im Moment tausende Menschen draussen, auch Kinder und alte Leute. Sie leben ohne ein Dach über dem Kopf oder in Zelten mitten in der Innenstadt und warten darauf, hoffentlich bald in ihre Heimatstadt zurückkehren zu können. Sie sind alle aus dem Süden des Landes geflohen. Noch sind es dort um die 30 Grad und man kann gut draussen schlafen, aber der Herbst und der Winter kommen bald.
Wie sieht Ihre Arbeit vor Ort aus?
Ich bin durch Beirut gegangen und habe Fotos gemacht, vor allem auch von Menschen. Mich interessieren in diesen Konflikten immer die menschlichen Schicksale.
Wo haben Sie gewohnt?
Ich war mit anderen Kolleg*innen in einem Hotel. Wir Journalisten müssen die Möglichkeit haben, vor Ort zu arbeiten. Wenn ich 100 Bilder gemacht habe, dauert es einige Stunden, um sie zu bearbeiten und an die Agenturen zu senden.
«In Israel gibt es Luftschutzbunker und Abwehrraketen. Das alles gibt es im Libanon nicht.»
Matteo Placucci, Fotojournalist
Sicher sind Sie dort aber auch nicht.
In einem Kriegsgebiet bin ich nie wirklich sicher. Obwohl ich immer mit Helm und Schutzweste unterwegs bin. In Israel war es anders, dort gibt es Luftschutzbunker und Abwehrraketen. Das alles gibt es im Libanon nicht. Kurz bevor ich abgereist bin, ist 500 Meter neben meinem Hotel eine Rakete eingeschlagen. Ich stand gerade an der Rezeption und hatte eine Pizza bestellt, als es geschah. Drei Strassen neben meinem Hotel wurden mehrere Gebäude zerstört. Das war ein Schock.
Haben Sie anschliessend Fotos von dem Ort gemacht?
Mein erster Reflex war, dorthin zu laufen und Bilder zu machen. Dann habe ich mich umentschieden – aus Sicherheitsgründen.
Warum?
Ich war 30 Minuten vor dem Bombenangriff genau an der Strasse und habe erfolglos nach einem Restaurant gesucht. Ich dachte mir, es sei zu auffällig, wenn ich nun direkt nach dem Angriff wieder Bilder dort mache. Ich wollte es nicht provozieren und dort auffallen. Denn ich kann mich im Libanon überhaupt nicht verständigen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich, keine gefährlichen Situationen zu provozieren. Also bin ich aufs Dach meines Hotels gegangen und habe von dort Fotos gemacht.
Aus welchem Grund hatten Sie Sorge?
Mitglieder der Hisbollah hielten sich in der Nähe des Ziels der Bombardierung auf. Sie koordinieren die erste Hilfe für Menschen in Not und auch für die Zielperson, bei der es sich oft um einen ihrer Anführer handelt. Sie wollen die volle Kontrolle über die Situation haben, um zu verhindern, dass wichtige Informationen nach aussen dringen. Aus diesem Grund werden viele Medienvertreter, die «zu früh» am Ort des Geschehens eintreffen, zurückgedrängt, selbst wenn sie sich rücksichtslos verhalten.